Verfassungsinitiative angemeldet

Einbezug des Volkes bei der Bestellung der Regierung des Fürstentums Liechtenstein

Die DpL-Initianten Thomas Rehak, Herbert Elkuch, Erich Hasler und Pascal Ospelt haben am 7. Juni bei der Regierung eine Verfassungsinitiative eingereicht, mit welcher die demokratischen Volksrechte ausgebaut werden sollen. Konkret: es geht um die Mitbestimmung bei der Wahl der Regierungsmitglieder durch das Volk, so wie sich auch jeder Landtagsabgeordnete oder Vorsteher, oder Gemeinderat den Wahlberechtigten zur Wahl stellen muss.

Sehr geehrte Mitglieder der Regierung

Als stimm- und wahlberechtigte Stimmbürger des Landes und Mitglieder des Vereins der Demokraten pro Liechtenstein (DpL) melden wir hiermit die oben genannte ausformulierte Verfassungsinitiative gemäss Art. 64 Abs. 4 LV an und beantragen, diese gemäss Art. 70b VRG zu prüfen.

Mit dieser Verfassungsinitiative sollen die demokratischen Volksrechte ausgebaut werden. Im bestehenden Wahlsystem hat der Wähler nur indirekten Einfluss auf die personelle Besetzung der Regierung. Im Vorfeld der Landtagswahlen nominieren die Parteien Regierungsmitglieder, welche sie nach erfolgreicher Landtagswahl in die Regierung zu entsenden gedenken. In der Regel nominieren die stimmenstärksten Parteien zwei Regierungsräte und einen Spitzenkandidaten für das Amt des Regierungschefs. Gehen die stimmenstärksten Parteien nach der Landtagswahl einen Koalitionsvertrag ein, dann bilden fünf der insgesamt sechs nominierten Kandidaten die zukünftige Regierung. Kommt kein Koalitionsvertrag zustande, muss die stimmenstärkste Partei zwei weitere bis dahin unbekannte Regierungsmitglieder nachnominieren. Parteiinterne Auseinandersetzungen können dazu führen, dass Regierungsratskandidaten nach der Wahl noch ausgetauscht werden. Beide Situationen sind für den Wähler unbefriedigend und bilden den Volkswillen nicht korrekt ab. Noch unbefriedigender für den Wähler ist aber, dass er in der geltenden Regelung in der freien Wahl der Abgeordneten eingeschränkt ist. Denn wenn er einen bestimmten Regierungskandidaten einer ersten Partei in der Regierung haben, andererseits Landtagskandidaten einer anderen Partei den Vorzug geben möchte, dann steht er vor einem nicht lösbaren Interessenkonflikt.

Die Nomination der Regierungskandidaten zuhanden einer Volkswahl bleibt mit diesem Vorschlag bei den Parteien oder Wählergruppen. Aus den nominierten Regierungskandidaten werden in geheimer Wahl durch das Volk die Regierungsmitglieder gewählt und dem Landtag als Vorschlag unterbreitet. Durch diesen verbindlichen Vorschlag des Stimmvolkes zuhanden des Landtages kann der Wähler bei Landtagswahlen seine Stimme jeweils den nach seiner Meinung geeignetsten Landtags- und Regierungskandidaten geben. Daher hat der Wähler grösseren Einfluss auf die Zusammensetzung der Regierung, und die Auswahl an Kandidaten wird tendenziell grösser. Dadurch wird die Wahl direktdemokratischer, die Legitimation der Regierungsmitglieder gestärkt und die Wahl bildet den Volkswillen besser ab. So wie bei den Gemeindewahlen der Vorsteher oder Bürgermeister unabhängig von den Gemeinderäten gewählt wird, kann das Volk bei der vorgeschlagenen neuen Regelung über die Zusammensetzung der Regierung unabhängig von den Landtagsabgeordneten mitbestimmen. Die Wahl der Regierungsmitglieder und des Regierungschefs findet gleichzeitig mit den Landtagwahlen statt.

Mit der vorgeschlagenen Anpassung der Bestellung der Regierung werden die Rechte und die Stellung des Landesfürsten nicht eingeschränkt. Die Regierung wird weiterhin vom Landesfürsten ernannt. Die Regierung bleibt dem Landesfürsten und dem Landtag verantwortlich.

Gemäss einer repräsentativen Meinungsumfrage will das Volk bei der Besetzung der Regierung mitbestimmen können. Eine vom Forschungsinstitut Gfs.bern im Frühjahr 2016 durchgeführte Umfrage unter der liechtensteinischen Wählerschaft brachte Folgendes an den Tag: Für etwa die Hälfte der Wählerschaft werden die Aspekte Kompromisseigenschaft, Ausbildung, politischer Standpunkt und politisch ausgewogene Regierung als „sehr wichtig“ eingestuft. Hingegen war die Parteizugehörigkeit für 64% der Befragten eher unwichtig oder ganz unwichtig. Dies spricht deutlich gegen die heutige Praxis der Regierungsbildung. Auch wenn bezüglich einer möglichen Direktwahl der Regierung vor der besagten Umfrage noch keine intensive öffentliche Diskussion stattgefunden hatte, befürworteten 67% der Befragten mehr oder weniger dezidiert eine Mitbestimmung bei der Besetzung der Regierung durch das Volk. Diese hohe Zustimmungsrate zog sich quer durch die Parteien.

Die Wählerschaft verspricht sich von einer Mitbestimmung grossmehrheitlich mehr Sachpolitik, eine bessere Meinungsvertretung und dass parteiübergreifend die geeignetsten Personen gewählt werden. Auch ist in etwa der gleiche Anteil der Befragten der Ansicht, dass das Volk zu wenig Einfluss auf die Zusammensetzung der Regierung hat.

Am 20. Dezember 2019 haben die Abgeordneten der DpL ein Postulat zur Direktwahl der Regierung durch das Volk eingereicht. Die Regierung beauftragte das Liechtenstein Institut, die Direktwahl entsprechend dem Auftrag des Postulats zu durchleuchten. Im Grundsatz bezweifelt das Liechtenstein Institut, ob eine Direktwahl der Regierung zu einer besseren sachpolitischen Performance der Regierung führen wird. Die Studie kommt zum Schluss, «dass die erhofften Effekte, derentwegen man die Volkswahl der Regierung fordert, wohl kaum im gewünschten Ausmass eintreten werden» und dass «[d]as politische System in Liechtenstein […] historisch gewachsen [ist] und […] sich durch eine gute Funktionsweise aus[zeichnet]». Andererseits negiert die Studie die Möglichkeit einer Volkswahl nicht, so schreibt das Institut, «Gleichwohl wäre es nicht richtig, die Volkswahl umgehend als «Fremdkörper» in einem ansonsten klassisch-parlamentarisch organisierten System zu betrachten und zu verwerfen.» Die Studie hält auch fest, dass die Frage betreffend die Volkswahl der Regierung rein politischer Natur ist. Um die beste Variante einer Direktwahl zu finden, stellt das Liechtenstein Institut in ihrer Studie einige Anpassungsfragen, die wichtigsten Fragen daraus sind nachfolgend zusammengefasst, wobei auch die Antworten der Initianten dazu festgehalten sind:

  1. Sollen die beiden Wahlkreise weiterhin mit mindesten 2 Mitgliedern in der Regierung vertreten sein?
    Antwort: Ja
  2. Nach welchem Verfahren, Majorz oder Proporz, soll gewählt werden?
    Antwort: Alle Regierungskandidierenden sollen im relativen Majorzwahlverfahren vom Volk dem Landtag vorgeschlagen werden (relative Mehrheitswahl), gewählt ist der, der meisten Stimmen erhält.
  3. Soll die gesamte Regierung oder nur der Regierungschef vom Volk gewählt werden?
    Antwort: Die gesamte Regierung, nicht aber die Stellvertreter der Regierungsmitglieder. Diese sollen wie bisher vom Landtag vorgeschlagen werden, wobei der Stellvertreter derselben Wählergruppe wie das Mitglied angehören soll und in der Regel dem Wunsch des Regierungsmitgliedes zu folgen ist.
  4. Braucht es eine Voranmeldung der Kandidaten oder sollen stille Wahlen möglich sein?
    Antwort: Ja, es braucht eine Voranmeldung analog der Landtagswahl.
  5. Wie soll die Ressortverteilung erfolgen?
    Antwort: Die Regierung entscheidet in der Regel auch in Zusammenarbeit mit ihren Wählergruppen über die Ressortverteilung und legt diese mit Regierungsbeschluss fest.
  6. Wer soll die Regierung abberufen können?
    Antwort: Wie bisher der Landesfürst und der Landtag.
  7. Wie soll das Verhältnis Fürst, Volk, Landtag und Regierung ausgestaltet werden?
    Antwort: Die Regierung ist weiterhin dem Landesfürsten und dem Landtag verantwortlich (Art. 78 LV). Das Volk wird alle 4 Jahre bestimmen, wer in der Regierung Einsitz nimmt. Das Stimmvolk kann weiterhin den Landtag entlassen, nicht aber die Regierung. Allerdings, entlässt das Volk den Landtag, muss dieser neu gewählt werden und damit muss auch die Regierung neu besetzt werden. Indirekt kann das Volk die Regierung absetzen.
  8. Entsteht ein Konfliktpotenzial zwischen Fürst und Volk, wenn die Regierung sowohl dem Volk als auch dem Landesfürsten verantwortlich ist?
    Antwort: Bei der Ausübung der Regierungsgeschäfte bleibt die Regierung wie bisher dem Landesfürsten und dem Landtag gegenüber verantwortlich. Ein theoretisches Konfliktpotenzial besteht lediglich bei der Wahl resp. Ernennung der neu gewählten Regierungsmitglieder, wenn der Landesfürst einen vom Stimmvolk gewählten Kandidaten nicht ernennen möchte. Dann gibt es aber gemäss Verfassungsvorschlag eine Nachwahl für den vom Fürsten nicht ernannten Kandidaten.

Aufgrund der Erkenntnisse aus der Beantwortung des Postulats „zur Direktwahl der Regierung durch das Volk“ vom 20. Dezember 2019 wurden die nachfolgend genannten Eckwerte definiert, um daraus den vorliegenden Verfassungsentwurf beim Zentrum für Demokratie in Aarau entwickeln zu lassen. Der Verfassungsentwurf mit Kommentaren liegt in einer Studie[1] vor.

  • Alle Regierungskandidierenden werden im Majorzwahlverfahren vom Volk «vorgeschlagen». Eine Voranmeldung der Kandidierenden ist erforderlich.
  • Jeder Wahlkreis wählt je zwei Regierungsvertreter, womit Ober- und Unterland Anspruch auf je mindestens zwei Mitglieder in der Regierung haben. Der Regierungschef wird wahlkreisübergreifend gewählt. Kandidierende dürfen sowohl für das Amt des Regierungschefs als auch für das Amt des Regierungsrates kandidieren.
  • Der Landtag prüft die Volkswahl, spricht den durch das Volk ausgewählten Regierungskandidierenden das Vertrauen aus und empfiehlt diese dem Landesfürsten zur Ernennung.
  • Der Landesfürst behält das Ernennungs- und Abberufungsrecht.
  • Der Landtag verliert formal das Vorschlagsrecht; materiell wurde das gemäss Art. 79 Abs. 2 Satz 1 LV bestehende Vorschlagsrecht bislang ohnehin nicht ausgeübt. In der Staatspraxis nominierten die Parteien zuhanden des Landtages Kandidierende. Der Landtag genehmigte jeweils den Nominationsvorschlag der in den Landtagswahlen siegreichen Parteien. Die nichtöffentlichen Absprachen zwischen den Parteien würden nunmehr durch eine öffentliche Volkswahl ersetzt. Das formelle Vorschlagsrecht würde in einen Akt der Vertrauensbekundung des Landtages zugunsten der vom Volk nominierten Personen umgestaltet. Spricht der Landtag dem Vorschlag des Volkes das Vertrauen nicht aus, kommt es zu Neuwahlen des Landtags und der Regierung innerhalb von sechs Wochen.
  • Der Landtag behält das Abberufungsrecht für einzelne Regierungsmitglieder und für die Gesamtregierung.

Die Initianten sind fest davon überzeugt, dass bei der Umsetzung des Verfassungsvorschlags nicht nur die Legitimation der Regierung, sondern auch der Landtag gestärkt wird. Die Gewaltentrennung wird durch den Einbezug des Volkes bei der Bestellung der Regierung geschärft. Der Landtag kann durch eine gewisse Distanz zur Regierung deren Vorlagen kritischer als bisher unter die Lupe nehmen und seiner zugeteilten Rolle als Gesetzgeber wieder einen Schritt näherkommen. Vor dem Hintergrund der konsensorientierten politischen Kultur in Liechtenstein ist nicht davon auszugehen, dass es vermehrt zu Blockade-Situationen zwischen Regierung und Landtag kommt. Die Kollegialregierung wird auch in Zukunft über eine komfortable Mehrheit im Landtag verfügen, weil die Wahlvorschläge für Regierungskandidaten ohnehin von den im Landtag vertretenen Wählergruppen oder Parteien kommen werden.

Angesichts der Tatsache, dass das politische Geschehen ganz wesentlich und immer mehr von der Regierung geprägt wird (siehe Corona-Pandemie), ist der Wunsch der Wählerschaft, wie auch die repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2016 gezeigt hat, nach Mitbestimmung bei der Zusammensetzung der Regierung verständlich.

Bedeckungsvorschlag: Aufgrund, dass mit diesem Vorschlag keine Mehrkosten für den Staat entstehen, bedarf es keinen Bedeckungsvorschlag.

Rückzugsklausel: Die Initianten behalten sich gemäss Art. 82b Abs. 1 vor, diese Verfassungsinitiative zurückzuziehen.

Wir bitten Sie, diese Initiative auch legistisch zu prüfen, um so dem Volk eine legistisch einwandfreie Vorlage unterbreiten zu können. Wir danken Ihnen für die Kenntnisnahme und verbleiben

mit freundlichen Grüssen

Die Initianten
Thomas Rehak     Herbert Elkuch             Erich Hasler                  Pascal Ospelt

Vaduz, 7. Juni 2023

 

 

Verfassungsgesetz vom

… über die Abänderung der Verfassung vom 5. Oktober 1921
(Einbezug des Volkes bei der Bestellung der Regierung)

Dem nachstehenden vom Landtag gefassten/in der Volksabstimmung vom … angenommenen Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung:

I.
Abänderung bisherigen Rechts

Die Verfassung vom 5. Oktober 1921, LGBI. 1921 Nr. 15, wird wie folgt abgeändert:

Art. 79 Abs. 2,3,4,5 und 7

  1. Die Kollegialregierung besteht aus dem Regierungschef und vier Regierungsräten.
  2. Der Regierungschef und die Regierungsräte werden vom Volke im Wege des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Stimmrechts nach dem Mehrheitswahlrecht bestellt. Das Oberland und Unterland bilden je einen Wahlbezirk. Von den vier Regierungsräten entfallen je zwei auf das Oberland und auf das Unterland. Der Regierungschef wird wahlbezirksübergreifend bestimmt.
  3. Über Wahlbeschwerden entscheidet der Staatsgerichtshof. Der Landtag prüft die Gültigkeit der Wahl der Regierungsmitglieder und der Wahl als solcher auf Grund der Wahlprotokolle und auf Grund etwaiger Entscheidung des Staatsgerichtshofes (Validierung).

  4. Der Landtag spricht den Regierungsmitgliedern sein Vertrauen aus und schlägt die Regierungsmitglieder anschliessend dem Landesfürsten zur Ernennung vor. Die Regierungsmitglieder werden vom Landesfürsten ernannt.

  5. Spricht der Landtag einem Regierungsmitglied sein Vertrauen nicht aus, finden unverzüglich Neuwahlen des Landtages und der Regierung statt. Ernennt der Landesfürst ein Regierungsmitglied nicht, ist unverzüglich ein neues Regierungsmitglied für den Rest der Amtsperiode im Verfahren nach Art. 79 Abs. 2–4 zu bestellen.

  6. Einer der Regierungsräte wird auf Vorschlag des Landtages vom Landesfürsten zum Regierungschef-Stellvertreter ernannt.
  7. Auf Vorschlag des Landtages ernennt der Landesfürst für den Regierungschef und die Regierungsräte je einen Stellvertreter, der im Falle der Verhinderung das betreffende Regierungsmitglied in den Sitzungen der Kollegialregierung vertritt. Ihre Stellvertreter sind der gleichen Landschaft zu entnehmen.
  8. Die Regierungsmitglieder müssen Liechtensteiner und zum Landtag wählbar sein.
  9. Die Amtsperiode der Kollegialregierung beträgt vier Jahre. Bis zur Ernennung einer neuen Regierung haben die bisherigen Regierungsmitglieder die Geschäfte verantwortlich weiterzuführen, es sei denn, Art. 80 kommt zur Anwendung.

 

Art. 80 Abs. 1 und 2

  1. Verliert die Regierung das Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages, dann erlischt ihre Befugnis zur Ausübung des Amtes. Für die Zeit bis zum Antritt der neuen Regierung bestellt der Landesfürst unter Anwendung der Bestimmungen gemäss Art. 79 Abs. 1 und 8 eine Übergangsregierung zur interimistischen Besorgung der gesamten Landesverwaltung (Art. 78 Abs. 1). Der Landesfürst kann auch Mitglieder der alten Regierung in die Übergangsregierung berufen. Vor Ablauf von vier Monaten nach dem Misstrauensvotum ist eine neue Regierung für den Rest der Amtsperiode gemäss dem Verfahren nach Art. 79 zu bestellen.

  2. Verliert ein einzelnes Regierungsmitglied das Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages, dann wird die Entscheidung über den Verlust der Befugnis zur Ausübung seines Amtes zwischen Landesfürst und Landtag einvernehmlich getroffen. Bis zur Ernennung des neuen Regierungsmitgliedes hat der Stellvertreter die Amtsgeschäfte fortzuführen. Vor Ablauf von vier Monaten nach dem Misstrauensvotum ist ein neues Regierungsmitglied für den Rest der Amtsperiode gemäss dem Verfahren nach Art. 79 zu bestellen.

 

II.
Inkrafttreten

Dieses Verfassungsgesetz tritt am 1. Juli 2024 in Kraft.

 

 

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