Künstliche Rheinauen

Im Rahmen einer Interpellationsbeantwortung wurden in der letzten Landtagssitzung mögliche Rheinaufweitungen ausgiebig und kontrovers diskutiert. Bei dem Bericht und Antrag der Regierung (BuA) und den Voten der Vertreter von FL und einzelnen Abgeordneten der VU konnte man den Eindruck bekommen, dass diese Flussaufweitungen unaufschiebbar dringend angegangen werden müssten. Unbestritten war bei allen Abgeordneten, dass die Gefahr eine Überflutung der Talebene bei einem Extremhochwasser gebannt werden muss.

Das entsprechende Rest-Risiko, das heute noch besteht, kann mit moderaten baulichen Massnahmen an einzelnen bekannten Abschnitten des heutigen Rheindamms mit gut absehbaren Kosten über die nächsten 1-2 Jahrzehnte beseitigt und die Sicherheit dadurch weiter verbessert werden. Die Regierung und die involvierten Ämter, unterstützt von Natur- und Umweltkreisen, schlagen nun vor, den Rheindamm an vier Abschnitten von rund 1 bis 3 km um bis zu 300 m ins Landesinnere zu versetzen und dadurch das Flussbett massiv aufzuweiten, um einen angeblich naturnaher Flusslauf herzustellen, der auch einen verbesserten Hochwasserschutz gewährleisten soll. Gleichzeitig soll die Biodiversität, der Grundwasserspiegel und die Grundwasserqualität sowie der Erholungsraum für die Bevölkerung verbessert werden. Ja sogar die Attraktivität des (Wirtschafts-)Standorts Liechtenstein soll sich mit Rheinaufweitungen erhöhen!?

Über die effektiven Kostenfolgen dieser massiven Eingriffe in den Flusslauf gab es bisher kaum oder nur sehr vage Aussagen. In jedem Falle werden diese wegen des Ausmasses der notwendigen Baumassnahmen ein Mehrfaches betragen gegenüber der zweckdienlichen Sanierung der einzelnen als geschwächt eingestuften Bereiche des heutigen Rheindamms. In Anbetracht von weiterhin substantiellen Defiziten beim operativen Staatshaushalt müsste ein konkreter Kostenrahmen vorausgesetzt werden können, bevor breitgefächerte Abklärungen und Vorplanungen für Rheinaufweitungen in Angriff genommen werden. Wie von anderen «Generationenprojekten» bekannt, werden allein die externen Kosten Millionen von Franken betragen, würde man richtigerweise die internen Arbeitsaufwendungen in den Ämtern dazu rechnen, kämen die Planungskosten weit höher zu stehen.

Unabhängig von der mangelnden Kostentransparenz und unabhängig von den weiteren Abklärungen kann heute schon die Stichhaltigkeit der Argumente der Befürworter von Rheinaufweitungen hinterfragt werden. Bringen Rheinaufweitungen tatsächlich nur Vorteile und Verbesserungen?

Der wohl bedeutendste Aspekt ist der massive Verlust an landwirtschaftlichem Kulturland von insgesamt wohl über 30 Hektaren Fläche, der mit diesen Flussaufweitungen einher gehen würde; wertvolles Kulturland, das heute für vielseitigen Acker- und Gemüsebau genutzt wird oder genutzt werden kann, würde verloren gehen. Die Befürworter, vornehmlich aus Umwelt- und Naturschutzkreisen, geben an, man könne als Ersatz ja Waldungen roden und so neues Landwirtschaftsland schaffen. Offenbar wird der Schutz des Waldes in diesem Fall grad auch noch hintenan gestellt. In Frage kommende Waldflächen gibt es in Liechtenstein fast nur im abschüssigen bis steilen Gelände am Talrand, d.h. die Ersatzflächen für hochwertiges Ackerland wären bestenfalls als zweitklassige Weideflächen für Rinder nutzbar und später vielleicht einmal als schwierig zu bearbeitbare Heuernteflächen. Es ist schon erstaunlich, wie «Naturschützer» bestes Kulturland, das noch bis vor nur 2-3 Generationen die Bevölkerung vor Hunger bewahrt hat, nun mit minderwertigen Weideland ersetzen wollen. Dies zeigt ein sehr selektives, auf die eigenen Interessen zugeschnittenes Verständnis von «Nachhaltigkeit», ein Begriff, der von den Befürwortern der Flussaufweitungen immer wieder vorgebracht wird.

In aufwendig gestalteten Photomontagen werden baumbewachsene Uferbereiche und Inseln als Idealbilder einer naturnahen Flusslandschaft gezeigt. Erhöht nun solcher Baumbewuchs den Schutz vor extremem Hochwasser, wie die Befürworter meinen? Bei starkem Hochwasser führt der Rhein bekanntlich grosse Mengen an Schwemmholz aus dem Oberlauf mit. Wenn sich solches Treibholz an Hindernissen staut, wird der Abfluss der Wassermassen behindert, was eine der Hauptursachen früherer Überschwemmungen war. Genau aus dieser Erfahrung heraus wurde noch bis vor Jahren aktiv dafür gesorgt, dass im flussseitigen Bereich des Rheindamms kein Baumbewuchs entstehen konnte und sich so die Gefahr bei Hochwasser nicht zusätzlich erhöhte. Diese Gefahr negierend propagieren die Befürworter nun sogar üppigen Baumwuchs auf Inseln und in den Uferbereichen der geplanten Aufweitungen. Genau in diesen Bereichen könnten sich bei Hochwasser grosse Mengen an Schwemmholz ansammeln und zu Rückstauungen führen. Unter dem hohen Druck der Wassermassen können solche Stauungen plötzlich und unkontrolliert aufbrechen und zusammen mit dabei entwurzelten Bäumen aus diesen Aufweitungen zu eigentlichen Flutwellen mit grossen Mengen Schwemmholz und Geröll führen. Am Ende der Aufweitungen verstärken sich diese Flutwellen noch wesentlich, da die Wasser- und Geröllmassen im wieder engeren (normalen) Rheinbett konzentriert weiterfliessen müssen. Wie aus der Physik bekannt ist, bilden sich bei jeder Verengung aufgrund der ansteigenden Strömungsgeschwindigkeit zusätzliche Wirbel, die den gleichmässigen Abfluss behindern. Diese Konzentration der Flutwellen durch die Verengung führt zu einer deutlichen Mehrbelastung der Dämme flussabwärts, die noch durch die Wirbelbildung in diesem Bereich zusätzlich verstärkt werden. Fallen diese Mehrbelastungen auf Schwachstellen des Dammes, kann das zum Aufbrechen des Damms führen. Erreichen solche konzentrierte Flut- und Geröllwellen fluss- abwärts Hindernisse wie Brücken, erhöhen sich die Gefahren noch weiter. Jedenfalls sind genau solche Rückstauungen letztendlich die Ursache von Dammbrüchen wie dem von 1927, als grosse Teile des Unterlands überflutet wurden.

Im Bereich der Flussaufweitungen mag die Überflutungsgefahr bei Extremhochwasser zwar geringer sein, im nachfolgenden Flusslauf mit den heutigen Rheindämmen kann sich die Gefahr hingegen wegen dieser Aufweitungen wesentlich erhöhen. Die Erbauer des Rheindamms vor über 100 Jahren wussten aus Erfahrung mit Überschwemmungen sehr wohl, weshalb sie beim Bau keine Flussaufweitungen mit Baumbewuchs zuliessen.

Ein weiterer Aspekt, der angeblich für die Rheinaufweitungen sprechen soll, ist ein Anheben des Grundwasserspiegels. Die heute ausgetrockneten Giessenbäche sollen wieder Wasser führen und so die Biodiversität der Tallandschaft verbessern. Eine Veränderung des Grundwasserspiegels stellt aber eine delikate Gratwanderung dar. Mit der Erhöhung einher geht das Risiko, dass im Vergleich zu früher im stark ausgedehnten Siedlungsraum Kellergeschosse von Häusern permanent übermässig feuchten und Fundamente sich in ihrer Lage verändern könnten. Langfristige Schäden an der Bausubstanz stellen daher ein Risiko mit enormen finanziellen Folgen für Besitzer und Bewohner dar. Eine kontrollierte Verbesserung der Grundwassersituation könnte aber ohne Flussaufweitungen viel einfacher und weitaus günstiger mit zusätzlichen Stufen im bestehenden Rheinbett erzielt werden. Mit den bestehenden Blockrampen in Balzers und Schaan hat man seit über 3 Jahrzehnten konkrete Erfahrungen. Mit diesen konnte eine Stabilisierung der Sole-Erosion über die Jahre erreicht werden, trotz anhaltender Kiesgewinnung im Oberlauf des Rhein in Graubünden. Diese Massnahme führte zwangsläufig im Nebeneffekt zu einer zwar geringen, aber doch positiven Auswirkung auf den Grundwasserspiegel.

Ein wesentlicher Gewinn, der mit diesen Rheinaufweitungen erzielt werden könne, sei eine bedeutende Erweiterung des Erholungsraums für die Bevölkerung. Der heutige Rheindamm mit dem asphaltierten Radweg auf der Dammkrone und den Geh- und Reitwegen am unteren Wuhr werden rege benutzt und stellen ein sehr wertvolles Erholungsgebiet dar, um das uns Personen aus anderen Gegenden beneiden. Landeinwärts versetzte Dämme würden in Summe nur um einige 100 m länger zu den heutigen rund 27 km werden, was nur einen bescheidener Gewinn an effektiv nutzbarem Erholungsraum darstellt. Inwieweit der Zugang für die Bevölkerung in die Aufweitungen hinein über das Mass des heutigen Zugangs auf die Kiesbänke möglich und erwünscht sein würde, darf hinterfragt werden, da doch solche Gebiete nicht selten als besonders geschützte «Naturreservate» deklariert werden. Die propagierten Bademöglichkeiten scheinen wegen des selbst im Hochsommer sehr kalten Wassers im Rhein und der Gefahren von schwer einzuschätzenden, lokal starken Strömungen kaum realistisch zu sein.

Zum Schluss sei noch angemerkt, dass die Befürworter der Rheinaufweitungen in ihrer Argumentation anführen, dass die grossen Mengen Kies, die aus den Aufweitungsflächen ausgebaggert werden müssten, verkauft werden könnten, und so ein wesentlicher Teil der Baukosten gedeckt würde. Wofür werden so grosse Mengen Kies benötigt? Richtig, für den Bau von Strassen! Aber genau die aktivsten Befürworter-Kreise dieser Rheinaufweitungen sind seit Jahren an vorderster Stelle und mit grosser Vehemenz gegen jegliche Strassenprojekte. Die Argumentation dieser Befürworter scheint sich in diesem Punkt doch ordentlich selbst zu «beissen».

Die geplanten Rheinausweitungen kann man nicht als «Renaturierung» bezeichnen. Es handelt sich um künstliche Flusslandschaften, die einem romantischen Naturideal grüner Kreise entsprechen.

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