Elektronisches Gesundheitsdossier: Liechtensteinische Sonderlösung
Opt-in oder Opt-out?
Vor kurzem wurde bei der Regierung eine Volksinitiative angemeldet, welche das im jetzigen Gesetz festgeschriebene «Opt-out»-Verfahren in eine «Opt-in»-Verfahren umgewandelt werden soll.
«Opt-out»-Verfahren: | «Opt-in»-Verfahren: | |
Es wird eine elektronische Akte für jeden Versicherten angelegt. Der Versicherte muss sich unter Vorla- ge von Pass und Krankenversiche- rungskarte abmelden, wenn er die elektronische Akte nicht möchte. | Der Versicherte muss zuerst seine explizite Zustimmung erteilen, da- mit seine Krankendaten verarbeitet und in einer Cloud gespeichert wer- den dürfen. |
EGD: WAS SPRICHT WOFÜR?
Mit dem Datenschutzgesetz (DSG) wurden den Bürgern umfangreiche Rechte zur Wahrung ihrer persönlichen Daten eingeräumt. Deshalb ist praktisch überall, sei es im Internet, im Verein oder beim Arzt, die explizite Zustimmung zur Datenverarbeitung notwendig. Weshalb das bei den hochsensiblen Gesundheitsdaten anders sein soll, ist für viele Bürger nicht nachvollziehbar.
WURDEN DIE STIMMBÜRGER AUSREICHEND AUFGEKLÄRT?
Definitiv nicht. Im Februar hat die Regierung eine Informationsbroschüre über das elektronische Gesundheitsdossiere (eGD) in alle Haushalte geschickt. Allerdings wurde die Broschüre kaum beachtet. Zudem wurde mit der Broschüre einseitig informiert, auf die Gefahren und Nachteile wurde nicht hingewiesen. Beispielsweise wurde in dieser Broschüre mit keinem Wort erwähnt, dass im eGD auch die genetischen Daten eines Menschen gespeichert bzw. verarbeitet werden sollen.
WIE VIELE BÜRGER HABEN SICH VOM EGD ABGEMELDET?
Bislang haben sich zirka 1000 Einwohner Liechtensteins vom eGD abgemeldet. Die geringe Zahl von Abmeldungen lässt vermuten, dass die Information der Regierung, die oberflächlich und einseitig war, bei den Einwohnern Liechtensteins tatsächlich nicht angekommen ist. Die Initiative, mit der die Opt-out-Variante in eine Opt-in-Variante umgewandelt werden soll, ist daher zu begrüssen, weil sich dann die Stimmbürger nochmals mit dem Datenschutz und dem eGD im Allgemeinen auseinandersetzen können.
WARUM SOLL DAS eGD NUR DANN ERFOLGREICH SEIN, WENN ALLE MITMACHEN?
Diese Frage wurde bislang nicht schlüssig beantwortet. Für die Regierung mag das Projekt eGD bereits dann erfolgreich sein, wenn möglichst viele mitmachen. Aber wo der Nutzen für den Einzelnen sein soll, ist nicht klar, denn medizinische Daten sind schnell veraltet. Zwar ist mit der Analyse der genetischen Daten in Zukunft eine
«personalisierte Medizin», d. h. eine auf den Patienten abgestimmte Behandlung, vorstellbar, weil man mit der Sequenzierung der genetischen Daten quasi in die Zukunft schauen und mögliche Dispositionen für Krankheiten erkennen kann, aber ob die Kosten des Gesundheitswesens damit niedriger werden und das Leben lebenswerter wird, ist mehr als fraglich. Und will tatsächlich jeder Versicherte, dass seine genetischen Daten sequenziert werden und er zum gläsernen Menschen wird?
Kann sich ein (Notfall-)Arzt auf das eGD verlassen? Nein, denn jede Person kann selbst entscheiden, welche Daten im eGD abgelegt werden. Wenn einer Person irgendwelche Medikamente verschrieben wurden, heisst es noch nicht, dass die fragliche Person diese Medikamente in den vorangegangen Tagen auch eingenommen hat. Ein Arzt wird sich also auch bei einem Notfall nicht auf das eGD verlassen können.
NUTZEN FÜR DIE ALLGEMEINHEIT?
Die grossen Techkonzerne warten nur darauf, dass sie auf die gespeicherten Gesundheits- und genetischen Daten der Versicherten zugreifen können (Gesundheitssendung «Puls» vom 3. April 2023).
WELCHE DATEN SIND BEI EINEM MEDIZINISCHEN NOTFALL ESSENZIELL?
Kommt es zu einem medizinischen Notfall (Unfall, Schlaganfall etc.) und eine Person ist nicht mehr ansprechbar, wären für einen Notfallarzt folgende Informationen hilfreich: Name, Geburtsdatum, Allergien bei Vormedikamentation, Einnahme von Blutverdünnern, aktuelle Behandlung einer Thrombose/Lungenembolie etc. sowie Telefonnummer einer nahestehenden Person. Personen, die eine solche Krankenvorgeschichte haben, tragen eine Notfallkarte mit den wichtigsten Informationen auf sich, sodass in einem Notfall der Arzt Bescheid weiss. Ein eGD ist also auch im Notfall nicht nötig. Und wie bereits erwähnt: Wer garantiert, dass der Patient den Blutverdünner in den vorangegangenen Tagen eingenommen hat?
DIE ERFAHRUNG LEHRT JEDOCH, DASS LIECHTENSTEINISCHE
SONDERLÖSUNGEN NOCH NIE ERFOLGREICH WAREN …
Erich Hasler
WIRD MIT DEM EGD DIE EFFIZIENZ DES GESUNDHEITSWESENS ERHÖHT?
Der Beweis dafür muss erst noch erbracht werden. Zunächst fallen einmal für viele Leistungserbringer (Ärzte, Apotheken, Landesspital) zum Teil hohe Kosten an. Das fängt an bei der Praxissoftware, die mit einer speziellen Schnittstelle aufgerüstet werden muss, weil das liechtensteinische eGD weder mit dem schweizerischen noch dem österreichischen kompatibel ist. Dann fällt laufender Aufwand für die Pflege der Software und Sicherstellung der Datensicherheit an. Und dann müssen die Daten auch noch in das eGD eingegeben werden. All dieser Aufwand ist in die gesamtgesellschaftliche Kosten-/Nutzenanalyse einzubeziehen, auch wenn der Staat sich an den Kosten der Leistungserbringer mit keinem Franken beteiligt. Was jedoch sicher ist: Es fällt mehr Aufwand für die Leistungserbringer an, der am Ende des Tages von den Prämienzahlern berappt wird.
DER «GLÄSERNE PATIENT» UND MÖGLICHE FOLGEN
Wenn die Effizienz des Gesundheitswesens mit dem eGD erhöht werden soll, dann muss man sich fragen, wie das geschehen soll. Vorstellbar ist, dass den Leistungserbringern irgendwann vorgeschrieben wird, bestimmte Untersuchungen nicht mehr durchzuführen, wenn die gleiche Untersuchung in den vorangegangenen zwölf Monaten schon einmal gemacht wurde oder wenn der Patient unheilbar krank ist. Schliesslich kann das eGD mittelfristig zur Verhaltenssteuerung von Personen durch ökonomische Anreize verwendet werden. Das Thema wurde auch im Rahmen der COVID-Impfung unter dem Stichwort Impfanreize diskutiert.
WER TRÄGT DIE VERANTWORTUNG FÜR DIE SICHERHEIT DER DATEN?
Vorweg: Der Staat mit Sicherheit nicht. Den Ärzten drohen hohe Bussen, wenn sie die Sicherheit der Krankheitsdaten und deren Übermittlung an eine Cloud nicht gewährleisten. Wenn es dereinst aber zu einem Datenunfall kommen sollte, die Krankheitsdaten gehackt werden und den Weg an die Öffentlichkeit respektive ins Internet finden, dann haben die staatlichen Akteure rein gar nichts zu befürchten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass jeder Patient seine explizite Zustimmung für die Verarbeitung seiner Gesundheitsdaten gibt. Sollten seine Daten gehackt werden, so trägt er dann zumindest eine gewisse Mitverantwortung.
LIECHTENSTEINISCHE SONDERLÖSUNG
Der Staat wird 1 Million Franken in den Aufbau und die Weiterentwicklung des eDG investieren. Dazu kommen noch je eine Stelle für einen Softwarespezialisten im Amt für Informatik und beim Amt für Gesundheit sowie geschätzte jährliche Betriebskosten von 150’000 Franken. Es ist also mit jährlichen Kosten von zirka 500’000 Franken zu rechnen.
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