Vom Stellvertreter zur Marionette

Der Landtag hat in der Dezembersitzung Änderungen in seiner Geschäftsordnung (GOLT) verabschiedet. Eine besonders fragwürdige ist, dass zukünftig bei Verhinderung eines Abgeordneten sein Sitz nicht mehr mit einem Stellvertreter besetzt werden muss, wenn der geänderte Artikel in der GOLT nur für sich betrachtet wird. Über der GOLT stehen aber die Verfassung und das Volksrechtegesetz, wo die Stellvertretung klar geregelt ist.

Der Anstoss für diese Regelung stammt vom Liechtenstein Institut. Dieses empfiehlt in seinem Gutachten: «Folgen des Parteiaustritts von stellvertretenden Abgeordneten auf ihr Mandat» zuhanden des Parlamentsdienstes folgendes: «Zu überlegen wäre, ob das im Falle eines Mandatsverlusts zu beachtende Verfahren schriftlich fixiert werden sollte und ob in Art. 23 Abs. 2 GOLT die Formulierung ‹hat zu bezeichnen› durch ‹kann bezeichnen› ersetzt werden sollte.»

Freies Mandat des stv. Abgeordneten in Frage gestellt
Diese vom Landtag verabschiedete neue Regelung ist äusserst problematisch und sorgt für pure Verwirrung. Sie stellt bei einseitiger Betrachtung das freie Mandat des stellvertretenden Abgeordneten in Frage und ermöglicht der Wählergruppe, ihre Stellvertreter zu sanktionieren. Der Landtag verabschiedete diese Regelung, obwohl sie klar im Widerspruch zu Art. 46 Abs. 2 ist, wo es heisst, dass auch stellvertretende Abgeordnete gewählt sind. Damit gewichtet der Landtag Parteiinteressen stärker als das vom Volk bestimmte Wahlergebnis.

Mit der neuen Bestimmung überlässt neu der Landtag den Wählergruppen die Entscheidung, ob ein Sitz mit einem Stellvertreter belegt werden soll. Der stv. Abgeordnete wird durch diese neue Sanktionsmöglichkeit in seiner freien Meinungsbildung/-äusserung massiv eingeschränkt und muss sich fortan viel stärker als ein ordentlicher Abgeordneter an der Mehrheitsmeinung seiner Wählergruppe orientieren. Ohne vorauseilenden Gehorsam läuft ein Stellvertreter Gefahr, von seiner Wählergruppe bestraft zu werden, indem sie ihn bei einem Verhinderungsfall eines ordentlichen Abgeordneten nicht mehr aufbietet und den Sitz lieber leer lässt. Allerdings, im Falle der Verhinderung eines Abgeordneten steht für die Organisierung einer ordentlichen Besetzung des Landtages mit gewähltem und vereidigtem Stellvertreter auch der Landtagspräsident in der Pflicht.

Verunsicherung bei der Einsetzung von Stellvertretern
Diese neue Regelung löst keine Probleme, sie schafft unnötigen Interpretationsspielraum und Verunsicherung bei der Einsetzung von Stellvertretern, dies, obwohl die Regelungen klar waren. Gemäss Art. 53 LV ist ein Abgeordneter verpflichtet, sein Fehlen unter Angabe des Hinderungsgrundes rechtzeitig dem Landtagspräsidenten zu melden. Laut Verfassungskommentar hat dieser dann die betreffende Wählergruppe über die Verhinderung in Kenntnis zu setzen. Danach wird der Stellvertreter, der auf der Wahlliste der betreffenden Wählergruppe unter den nichtgewählten Kandidaten am meisten Stimmen erhalten hat, aufgerufen. In Art. 49 Abs. 4 LV steht, dass stellvertretende Abgeordnete mit Sitz und Stimme an Landtagssitzungen teilzunehmen haben, wenn ein Abgeordneter verhindert ist. Der Stellvertreter ist gemäss Verfassung also zur Teilnahme verpflichtet, daher kann der Wählergruppe auch nicht die freie Entscheidung überlassen werden, ob ein gewählter Stellvertreter aufgeboten werden soll oder nicht.

Ein Parteiaustritt war Anlass zu dieser neuen Regelung
Im Grunde genommen ging es dem Landtag mit dieser Bestimmung darum, einen Parteiaustritt sanktionieren zu können. Anlass zu dieser neuen Regelung dürfte der Parteiaustritt einer stellvertretenden Abgeordneten der Freien Liste aus dem Wahlkreis Oberland gewesen sein. Für die Wählergruppe der Freien Liste im Wahlkreis Oberland ist die Stellvertretung vom Volk gewählt und an der Eröffnungssitzung feierlich vereidigt worden. Da gibt es kein Wenn und Aber. Der Landtag hat diese neue Bestimmung erlassen, ohne sich intensiver mit der Thematik zu befassen. Mit diesem unüberlegten Handeln werden alle Stellvertreter zu Marionetten ihrer Wählergruppe degradiert. Ob das tatsächlich die Absicht des Landtages gewesen ist, wage ich zu bezweifeln.

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